
Bestandsmanagement in Zeiten von Versorgungsengpässen
Wie Sie die Kontrolle über Ihre Supply Chain und damit Ihre Bestände wieder in den Griff bekommen.
Corona, Naturkatastrophen, Störungen im Suez-Kanals sowie Gesetzesänderungen (Sorgfaltspflichtengesetz, Corona-bedingte Hygienevorschriften für Lager und Transport, Lieferkettengesetz) treffen nicht nur die Lieferketten insgesamt, sondern auch das Lager- und Bestandsmanagement in bisher nicht bekannter Härte und Dynamik.
Die einen durften nicht mehr verkaufen (Nonfood-Händler) … in Folge stapeln sich Waren in Schiffscontainern, Häfen oder Lagern. Bei den anderen, insbesondere im Lebensmittelhandel, in der Automobilindustrie und Maschinenbau sowie in der Medizin- und Pharmabranche steigt die Nachfrage in kürzester Zeit überproportional in nie gekannte Höhen an. Damit nehmen auch die Anforderungen hinsichtlich Beschaffungs-, Lager- und Distributionslogistik, also an die gesamte Supply Chain zu.
Denken in Lösungen
Doch wie kann in Zeiten von Engpässen die Materialversorgung sichergestellt werden? Durch ein „Weiter wie bisher, das wird schon!“, durch hektischen Bestandsaufbau? Durch kurzfristige Lagerflächenerweiterung? Durch noch mehr Druck auf die Lieferanten? Durch 7/24-Trouble-Shooting?
Welche alternativen Handlungsmöglichkeiten gibt es, um die Verfügbarkeit der drei „M“ (Mensch, Maschine, Material) sicherzustellen?
Eine, wenn nicht sogar die größte Herausforderung ist, die gesamte, bisher auf Kante genähte und auf absolute Effizienz getrimmte Prozessorganisation in ihrer Gesamtheit zu hinterfragen.
Denn: Keine noch so digitale Produktion wird funktionieren, wenn wir die (analoge) physische Logistik nicht in stabile, robuste Prozesse einbinden und damit die Verfügbarkeit sicherstellen können. Daher sind für den Erfolg einer Supply Chain fundierte Kenntnisse der inner- und überbetrieblichen Prozesse und ihrer Zusammenhänge im Zusammenspiel zwischen Einkauf / Beschaffung, Materialwirtschaft, (Lager-) Logistik sowie den Kunden unerlässlich.
„Logistik ist kein Glücksspiel: Alle Unternehmen einer Lieferkette – ob Auftraggeber oder Dienstleister der Logistik – müssen Antworten auf die gleichen Fragen finden:
- Wenn trotz ausgeklügelter Prozesseffizienz Schadensereignisse nicht mehr zuverlässig kalkulierbar sind, wie kann man dann darauf vorausschauend reagieren?
- Muss es eine Abkehr von global hin zu lokal geben, um sich für zukünftige Engpässe in der Lieferkette besser zu rüsten?
- Wie lässt sich eine Lieferkette durch Multiple Sourcing schneller und mit mehr Kontrolle orchestrieren?
- Lässt sich durch Regionalisierung der Lieferkette gleichzeitig die Qualität und Zuverlässigkeit der Supply Chain erhöhen?
- Braucht ein effizientes Risikomanagement nicht auch einen Plan B, und wie könnte dieser aussehen?“
Quelle: Whitepaper „Supply Chain Risk Management“, Timocom, 2021
Für die Lagerlogistik und das Bestandsmanagement bedeutet das alles im Kern eines: Umdenken!
1. RESILIENCE
Wir müssen wieder lernen, Redundanzen aufzubauen und auf zuverlässige und vertrauenswürdige Lieferanten und Logistikdienstleister zu setzen. Das Zaubertort für Erfolg heißt „Verfügbarkeit“!
Die Resilienz der Wertschöpfungsketten ist eine der Grundvoraussetzungen für eine reibungslos funktionierende Wirtschaft und ihr Wachstum.
2. RE-THINKING
Das bisherige Kostendenken blockiert uns, Wettbewerbsvorteile durch ein dynamisches Bestandsmanagement zu erreichen. Wir müssen endlich davon wegkommen, Materialwirtschaft / Disposition und (Lager-) Logistik als reine Kostenfaktoren zu betrachten. Erst eine bis tief in die Lager hinein zuverlässige, flexible und schnelle Materialwirtschaft und Logistik sichert die nachhaltige Verfügbarkeit der „3M“ (Mensch, Maschine, Material). Logistik-Service ist eben kein anderes Wort für „gratis“!
3. LEAN
Das Geld liegt im Prozess - Müssen wir nicht auch hier unsere Einstellungen ändern?
Folgen wir weiterhin dem Takt der Just-in-Time-Trommler und der Effizienz-Rechenknechte? Schlägt die Trommel nach den Zwängen der Lieferketten oder weiterhin nach irgendwelchen unrealistischen Annahmen bzgl. Kapazitäten, fester / konstanter Losgrößen, Systeme vorbestimmter (Durchlauf-) Zeiten etc.? Wenn sich Ihr logistisches System auf unrealistische Annahmen stützt, dann haben weder Ihre Materialwirtschaft/Disposition noch Ihre Lagerlogistik einen Rhythmus.
4. SMART
Eine funktionierende Logistik bietet die Grundlage für die Umsetzung von „Industrie 4.0“-Strategien. Dabei wird der Digitalisierung eine bedeutende Rolle zukommen. Sensordaten, Frühwarnsysteme in Echtzeit, also Real-Time-Systeme sowie vorauseilende Informationen sind wesentliche Voraussetzungen für Vernetzung, Dezentralisierung und Serviceorientierung.
Nur eine funktionierende Logistik ermöglicht Produktion.
5. TRANSPARENCY
Weitverzweigte, globale Lieferketten sind transparenter zu machen, damit Unternehmen ihre Versorgungsprozesse besser steuern können. Dadurch können sie schneller und flexibler auch auf unvorhergesehene Ereignisse und Gefahren reagieren. Gleichzeitig eröffnen sich Chancen für die Logistik.
Fazit
Noch immer sind viele Entscheider und Controller der Auffassung, dass nur die hochfrequente Materialversorgung mit geringen Beständen (JIT, JIS) für Sicherheit sorgt oder dass die günstigsten Lieferanten nur in Übersee zu finden sind. Allerdings wird die Welt immer enger, sie dreht sich immer schneller und genauso schnell verändern sich die Risiken / Unwägbarkeiten in den globalen Lieferketten mit teilweise fatalen Folgen für Unternehmen, ihre Zulieferer und Kunden wie die Pandemie gezeigt hat. Gleichzeitig nehmen Themen wie Nachhaltigkeit und Umweltschutz vor allem in der Logistik einen immer größeren Stellenwert ein.
Unternehmen müssen also umdenken und entschlossen handeln!
Durch eine risikoorientierte Materialplanung im Verbund mit der ABC- / XYZ-Analyse lassen sich verschiedene Beschaffungs- und Lagerkonzepte ableiten. Dabei ermöglicht eine auf die Bedarfseigenschaften der Materialien zugeschnittene Dispositionspolitik die Konzentration der Bemühungen auf kritische Teile sowie eine einfachere Handhabung unkritischer Teile.
Präventive Maßnahmen müssen unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten sinnvoll sein, d.h. durch gezieltes Bevorraten der richtigen Materialien an den richtigen Orten (z.B. vor den kapazitiven Engpässen) können Produktionsausfälle vermieden, im Ersatzteilbereich Ausfallzeiten von Maschinen und Anlagen deutlich reduziert und damit die Produktion gesichert werden.
Ich bin überzeugt, dass das Ende der langfristigen Planbarkeit – nicht nur in der Materialwirtschaft – gekommen ist. Nur hochflexible Unternehmen können schnell auf Veränderungen reagieren und werden sich in volatilen Märkten erfolgreich behaupten können. Die Entscheider werden umdenken und radikal neue Wege gehen müssen. Sie werden erkennen, dass logistische Prozesskompetenz, also das Beherrschen komplexer Lieferketten incl. der eigenen Material- und Lagerwirtschaft ein wesentlicher Wettbewerbsfaktor und damit auch Kernkompetenz geworden ist.
In diesem Sinne: Let´s rock logistics!